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02.01.2025

Die positive Kraft der sanften Berührung

Durch die Corona-Pandemie sind wir zu unseren Mitmenschen vielfach auf Abstand gegangen. „Social Distancing“ war das Gebot der Stunde. Das war gut, um uns vor einer Ansteckung zu schützen – aber schlecht für unser psychisches Wohlbefinden. Denn Menschen fühlen sich als soziale Wesen besser, wenn sie mit anderen wortwörtlich in Kontakt kommen. Insbesondere sanfte Berührungen wirken positiv auf den ganzen Körper. Wir verraten die Hintergründe.

Berührungen sind lebenswichtig

In den 1950er Jahren untersuchte der Verhaltensforscher Harry Harlow das Erinnerungsvermögen von Rhesusaffen. Als er neugeborene Äffchen von ihren Müttern isolierte, um sie ungestört aufziehen zu können, stellte er fest, dass das den Kleinen gar nicht gut tat: Die Folgen waren deutliche Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Isolierte Tiere starben vielfach, die überlebenden zeigten seelische Defizite und schlechte Erinnerungsleistungen. Zudem waren Körperwachstum und Immunsystem beeinträchtigt.

Daraufhin entwickelte er einen speziellen Versuch: Die Äffchen erhielten als Mutterersatz zwei Attrappen: eine milchspendende aus Draht und eine mit Watte gepolsterte und mit Stoff bespannte, die jedoch keine Nahrung spendete. Ergebnis: Die Äffchen hielten sich nur zum Trinken bei der „Draht-Mutter“ auf, kuschelten ansonsten mit der „Stoff-Mutter“, an die sie sich auch zum Schlafen klammerten. Die „Stoff-Mutter“ förderte sogar das Selbstvertrauen der Kleinen: Kamen sie mit ihr in einen neuen Käfig, erkundeten sie ihn neugierig, während sie allein verängstigt reagierten.
Da die „Stoff-Mutter“ keine weiteren sozialen Interaktionen ermöglichte, war klar: allein die Berührung war für den deutlichen Unterschied verantwortlich.

Von der Entdeckung profitierten viele Kinder. Zuvor wurde nämlich jungen Müttern empfohlen, ihre Kinder – besonders Jungen – nicht zu verzärteln. Deshalb sollten sie den Körperkontakt mit ihnen auf das Füttern beschränken. Nach den Versuchen waren Berührungen als lebensnotwendig erkannt.

Berührung verändert vitale Körperfunktionen

Wenn Menschen Sinne aufzählen, stehen meist Seh- und Hörsinn an erster Stelle, auch Riechen und Schmecken werden genannt. Dabei ist der Tastsinn bei der Geburt bereits reifer als unsere anderen Sinne. Babys begreifen ihre Welt im wahrsten Wortsinn mit den Händen (und mit dem Mund).

Aber auch bloße Berührungen zeigen eine gewaltige Wirkung. Werden Neugeborene sanft berührt, wirkt sich das auf ihre Körperfunktionen aus: Atmung, Körpertemperatur und Blutzuckerspiegel werden stabilisiert. Frühgeborene profitieren ebenfalls vom Körperkontakt: Beim "Känguruhen" liegen sie auf dem nackten Oberkörper von Mutter oder Vater. Das kann die Sterblichkeit bei Frühgeborenen verringern und lässt sie schneller an Gewicht zulegen.
Streicheln kann – im Gegensatz zu einer statischen Berührung – die Herzfrequenz senken. Dabei zeigen Frühgeborene gegenüber reif geborenen Babys eine verzögerte Reaktion. Anscheinend muss diese Wahrnehmung erst reifen.

Auch Rückenmassagen wirken sich auf vitale Körperfunktionen aus: Wie Messungen gezeigt haben, verlangsamen sich dabei unsere Hirnstromwellen, und wir erreichen einen Entspannungszustand wie im Tiefschlaf. Durch ausgeschüttete Botenstoffe werden auch andere Organe beeinflusst: Die Muskulatur entspannt ebenfalls, die Atmung wird flacher, Herzfrequenz und Blutdruck nehmen ab. Unter Paaren lässt auch eine Umarmung den Blutdruck sinken.

Eine Auswertung zahlreicher Studien ergab: Berührungen können Ängste, Depressivität und Schmerzen lindern – sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen.

Besondere Sinneswahrnehmung

Für das Wahrnehmen des Streichelns sind andere Nervenfasern zuständig als für den normalen Tastsinn: die sogenannten C-taktilen Fasern. Sie sitzen nur unter behaarten Hautstellen – mehr auf unserem Rücken als beispielsweise am Unterarm. Deshalb mögen wir anscheinend besonders gerne Rückenmassagen. Diese erst um die Jahrtausendwende entdeckten Nervenfasern registrieren insbesondere sanfte Streichelbewegungen. Sie lassen uns entscheiden, ob wir die Berührung mögen oder nicht. Besonders angenehm empfinden wir das Ganze bei etwa 32 bis 34 Grad Celsius. Das ist die Temperatur normal warmer Fingerspitzen.
Eigene Berührungen können die C-taktilen Fasern übrigens nicht aktivieren.

Botenstoffe machen glücklich – und schlau

Die Berührungsreize sorgen für die Ausschüttung von Botenstoffen, unter anderem von Endorphinen – sogenannten Glückshormonen –, die das Belohnungszentrum ansprechen und Schmerzen stillen können. Auch Oxytocin – das sogenannte Bindungs- oder Kuschelhormon – wird ausgeschüttet, das allgemein das Bindungsverhalten – und nach einer Geburt die mütterliche Fürsorge für das Kind – fördert. Wird es freigesetzt, sorgt es für den Abbau von Stress und mindert Ängste. Da Stress unsere Immunabwehr unterdrückt, können Streicheleinheiten sogar das Immunsystem stärken. Für das Ausschütten des Kuschelhormons reicht sogar schon eine 20-sekündige Umarmung aus.

Daher hat der Flughafen der neuseeländischen Stadt Dunedin Schilder aufgehängt, nach denen die Umarmungszeit für Abschied nehmende Paare auf drei Minuten begrenzt wird. Argument: Es würden ja schon 20 Sekunden reichen.

Körperliche Nähe und emotionale Bindung sind vor allem bei kleinen Kindern prägend: Vernachlässigte Heimkinder hatten laut einer – stark umstrittenen – Studie in Rumänien mehr psychische Probleme und Schwierigkeiten mit der familiäreren Bindung als verwaiste Kinder, die in Pflegefamilien aufwuchsen. Sogar ihr Intelligenzquotient (IQ) war im Schnitt geringer. Kamen die Kinder im Alter von unter zwei Jahren zu Pflegeeltern, waren die Effekte umkehrbar, bei älteren Kindern nicht mehr.

Bedeutung von Berührungen in der Pflege

Wenn Menschen einsam sind, steigt im Blut der Spiegel des Stresshormons Cortisol an. Damit nimmt auch das Risiko für einen vorzeitigen Tod durch einen Herzinfarkt zu. Viele pflegebedürftige Menschen sind allein und werden im Rahmen ihrer Pflege eher „funktionell“ angefasst. Dabei reicht es oft schon, ihnen für kurze Zeit den Arm zu streicheln oder die Hand zu halten, um Nähe zu vermitteln und die positive Kraft der sanften Berührung zu nutzen. Damit könnten Schmerzen gelindert und das Wohlbefinden erhöht werden.
Insbesondere für demente Menschen kann die non-verbale – also nicht-sprachliche – Kommunikation eine gute Möglichkeit sein Vertrauen aufzubauen.

Es gilt aber immer, den Wunsch des Gegenübers zu beachten. Nicht jede Person ist offen für Berührungen – insbesondere nicht durch fremde Menschen.

Ansonsten gerne mal öfters den/die Partner:in – aber auch die Kinder oder alten Eltern – in den Arm nehmen und streicheln.

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Auch ohne Umarmung sind wir immer an Ihrer Seite! Die INTER Versicherungsgruppe bietet verschiedene Gesundheitsprogramme an – und mit ihrer Privaten Krankenversicherung einen leistungsstarken Gesundheitsschutz, der Sie in allen Lebenslagen begleitet.

Quellen:

https://pflegehilfe-senioren.de/pflegeratgeber/leben-im-alter/tipps/beruehrungen-in-der-pflege/

https://www.ardmediathek.de/video/alles-wissen/die-macht-der-sanften-beruehrung/hr/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNjE4MjY

https://www.planet-wissen.de/natur/sinne/fuehlen_der_unterschaetzte_sinn/beruehrung-102.html

https://www.quarks.de/gesundheit/darum-sind-beruehrungen-so-wichtig/

https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/aktuelles/2021/beruehrungen-sorgen-fuer-glueckshormone

https://www.srf.ch/wissen/mensch/die-wissenschaft-der-beruehrung-die-perfekte-streicheleinheit-laesst-sich-berechnen

https://www.swr3.de/neuseeland-flughafen-umarmung-oxytocin-kuschelhormon-100.html

https://www.zdf.de/kinder/logo/weltknuddeltag-100.html

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/beruehrung-studie-massage-umarmung-100.html

Packheiser J et al. A systematic review and multivariate meta-analysis of the physical and mental health benefits of touch interventions. Nat Hum Behav. 2024 Jun; 8(6): 1088-1107. https://www.nature.com/articles/s41562-024-01841-8

Püschel I et al. Gentle as a mother's touch: C-tactile touch promotes autonomic regulation in preterm infants. Physiol Behav. 2022 Dec 1: 257: 113991. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0031938422002979

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