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Kranker Mensch steckt Kollegen an
01.11.2022

Präsentismus: Arbeiten trotz Krankheit

Gesundheit geht vor – diese Aussage würden die meisten Menschen wahrscheinlich unterschreiben. Trotzdem gehen viele Deutsche krank zur Arbeit. Dieses Phänomen trägt den Namen Präsentismus und ist ein ernsthaftes Problem der modernen Arbeitswelt. Denn krank zu arbeiten kann schwerwiegende Folgen mit sich bringen. Aber was sind die Ursachen für Präsentismus? Und was kann dieser für Mitarbeitende und Unternehmen bedeuten?

Präsentismus: Die Zahlen

Egal ob die Nase läuft, der Hals kratzt oder bei chronischen Rückenschmerzen – viele quälen sich dennoch zum Arbeitsplatz. Bestätigt wird das durch Ergebnisse der repräsentativen Studie „Arbeiten 2022" der Betriebskrankenkasse Pronova BKK. Demnach gab die Mehrheit der 1.200 Befragten an, trotz unterschiedlicher Erkrankungen dennoch bei der Arbeit zu erscheinen. Nur 28 Prozent erklärten, konsequent zu Hause zu bleiben, wenn sie krank sind.

Die Gründe: Von Berufung bis Berufsangst

Die Gründe für Präsentismus sind vielschichtig. Die Initiative Gesundheit und Arbeit (iga), eine Kooperation aus BKK Dachverband, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und dem Verband der Ersatzkassen ist dem Thema nachgegangen. In der zweiten Auflage der Publikation „iga Fakten 6“ unter dem Titel „Präsentismus: Verlust von Gesundheit und Produktivität“ kommt die Initiative zu folgenden Ergebnissen: Einer der häufigsten Gründe besteht demnach in der Solidarität unter den Mitarbeitenden. Der Anspruch, Kolleginnen und Kollegen nicht hängen lassen zu wollen, ist vor allem in der Pflegebranche weit verbreitet.

Besonders anfällig für Präsentismus sind zudem Menschen mit Jobängsten. So kommen Beschäftigte, die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben, eher krank zur Arbeit als solche ohne diese Befürchtung. Weitere mögliche Gründe für das Gefühl, sich keine Fehlzeiten erlauben zu dürfen, sind ein hohes Pensum und/oder (auch subtiler) Druck durch Vorgesetzte. Die verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben durch die Arbeit im Homeoffice, wie sie seit der Corona-Pandemie immer häufiger existiert, kann das Problem noch verstärken. Denn oft kann es im Homeoffice besonders schwerfallen, wirklich Feierabend zu machen. Dabei sollten die eigenen vier Wände eigentlich ein Ort der Erholung sein.

Auch Menschen, die Spaß an ihrem Beruf haben oder sich emotional ans Unternehmen gebunden fühlen, neigen dazu, sich nicht ausreichend auszuruhen. Vor diesem Hintergrund ist aber die Tatsache interessant, dass laut „iga Fakten 6“ Menschen, die ihren Beruf als sinnstiftend empfinden, seltener krank zur Arbeit gehen als Beschäftigte, die ihre Arbeit als sinnlos wahrnehmen.

Die Risiken: Mehr Fehler, weniger Leistung

Auch wenn viele der Gründe für Präsentismus nachvollziehbar sind, so kann dieser einen hohen Preis fordern. Das sollten sich Arbeitnehmende – und Unternehmen im Rahmen ihrer Firmenkultur – bewusst machen: Wer sich trotz Krankheit keine Schonung gönnt, erhöht das Risiko, Symptome zu verschleppen.

Im schlimmsten Fall fördert man sogar die Entstehung von chronischen Krankheiten. Darüber hinaus belastet krank zu arbeiten nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Emotionale Erschöpfung und sogar ein Burn-out können die Folge sein.

Und auch wenn sich Betroffene aus Pflichtbewusstsein zur Arbeit quälen, so ist es für alle Beteiligten doch eher von Nachteil und kostet wahrscheinlich am Ende mehr, als es nutzt. Denn wer mit einem grippalen Infekt oder starken Schmerzen zur Arbeit geht, ist nicht nur weniger leistungsfähig, sondern arbeitet auch fehleranfälliger.

Je nach Beruf ist das Risiko für Unfälle am Arbeitsplatz erhöht. Dadurch gefährden die Mitarbeitenden im schlimmsten Fall sich und andere – vom Ansteckungsrisiko für Kolleginnen und Kollegen bei Infektionskrankheiten mal abgesehen. Zu Hause zu bleiben zeigt dann letztlich mehr Verantwortungsbewusstsein als unbedingt Präsenz demonstrieren zu wollen beziehungsweise diese von Mitarbeitenden zu erwarten.

Die Lösungsansätze: Was können Unternehmen tun?

Wenn man das alles liest, könnte man denken, dass es sich bei Beschäftigten, die krank zur Arbeit gehen, um verantwortungslose Menschen handelt, die ganz bewusst Präsentismus betreiben. Hier aber nur an das Gewissen der Betroffenen zu appellieren, wäre zu einfach und obendrein zynisch, wenn man bedenkt, dass einige der Gründe für Präsentismus auch darauf hinweisen, dass Mitarbeitende nicht freiwillig trotz Krankheit arbeiten, sondern aus Angst vor negativen Konsequenzen, schlimmstenfalls einer Kündigung.

Hier sind die Unternehmen gefragt, Verantwortung und Fürsorge für ihre Mitarbeitenden zu zeigen. Sie können zum Beispiel für ein wertschätzendes und sicheres Arbeitsumfeld sorgen, bei der auch die Gesundheit einen hohen Stellenwert hat. Es gibt Hinweise darauf, dass Unternehmen, die gesundheitsfördernde Maßnahmen für ihre Mitarbeitenden anbieten, weniger von Präsentismus betroffen sind als solche ohne.

Führungskräfte können ihre Mitarbeitenden sensibilisieren und ermutigen, bei Krankheit konsequent zu Hause zu bleiben. Und natürlich, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen und selbst keinen Präsentismus betreiben.

 

Quellen:

https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Organisation-des-Arbeitsschutzes/Wirtschaftlichkeit/Praesentismus.html

https://www.iga-info.de/fileadmin/redakteur/Veroeffentlichungen/iga_Fakten/Dokumente/Publikationen/iga-Fakten_6_Praesentismus_2019.pdf

https://www.researchgate.net/publication/339947367_Implikationen_des_Zusammenhangs_zwischen_Burnout_und_Prasentismus_fur_Pravention_und_Rehabilitation

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